Einleitend formuliert der Vertrag das ambitionierte Ziel, dass die Gleichstellung von Frauen und Männern in diesem Jahrzehnt erreicht werden muss. Das bedeutet für die Gleichstellung am Arbeitsmarkt: Die Lohnlücke, der Gender Pay Gap, ist geschlossen, Frauen und Männer finden sich zu gleichen Teilen in Führungspositionen wieder, Frauen gründen genauso oft wie Männer und Frauen und Männer teilen unbezahlte Sorgearbeit partnerschaftlich untereinander.
Die Ziele im Einzelnen
Wie wollen die Regierungsparteien das im Einzelnen erreichen?
Im Koalitionsvertrag stellen sie klar, dass ihre Arbeitsmarkt-, Gleichstellungs- und Familienpolitik dem Ziel einer höheren Erwerbsbeteiligung von Frauen dient (Seite 33).
Entgeltgleichheit herstellen
Beim Thema Entgeltgleichheit legen die Koalitionäre sich auf eine Weiterentwicklung geltenden Rechts fest:
„Wir wollen die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern schließen. Deshalb werden wir das Entgelttransparenzgesetz weiterentwickeln und die Durchsetzung stärken, indem wir Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ermöglichen, ihre individuellen Rechte durch Verbände im Wege der Prozessstandschaft geltend machen zu lassen.“ (Seite 115)
Mit diesen Plänen knüpfen die Koalitionsparteien an Maßnahmen der letzten Jahre an, die Entgeltgleichheit zum Ziel hatten. Ein wichtiger Schritt war die Einführung des Gesetzes zur Förderung der Transparenz von Entgeltstrukturen, das zum Ziel hat, das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche oder gleichwertige Arbeit“ in der Praxis stärker durchzusetzen. Daneben gab es weitere Maßnahmen wie die Einführung des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns, von der mehrheitlich Frauen in niedrig entlohnten Dienstleistungsbereichen und in geringfügiger Beschäftigung profitiert haben. Mit dem Ausbau der Kinderbetreuung, dem Elterngeld und dem ElterngeldPlus sowie mit der Verbesserung der Familienpflegezeit wurden Anreize für weniger und kürzere familienbedingte Erwerbsunterbrechungen und eine rasche Rückkehr in den Beruf geschaffen.
Auch auf europäischer Ebene wollen die Regierungsparteien das Thema Entgeltgleichheit vorantreiben:
„Unser Ziel ist die Verringerung der Lohnungleichheit zwischen Frauen und Männern europaweit. Wir unterstützen als eine Maßnahme die EU-Richtlinie für Lohntransparenz. Eine ehrgeizige Ausgestaltung muss die Situation möglichst vieler Frauen erfassen, bürokratiearm und mittelstandskonform umgesetzt werden und ein nach Betriebsgrößen und Leistung gestaffeltes Berichtssystem vorsehen. Wir setzen uns für eine Ausgestaltung ein, die Deutschland nicht zur Einführung eines Verbandsklagerechts zwingt, sondern ermöglicht, dass wir Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern die Durchsetzung ihrer individuellen Arbeitnehmerrechte durch Verbände im Wege der Prozessstandschaft ermöglichen.“ (Seite 134)
Um die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern, den Gender Pay Gap, wirksam zu bekämpfen, braucht es außerdem eine gerechtere Aufteilung von bezahlter Erwerbs- und unbezahlter Sorgearbeit zwischen Frauen und Männern. Konkrete Handlungsempfehlungen, wie das gelingen kann, finden sich in den Ratsschlussfolgerungen zur Bekämpfung des Gender Pay Gaps („Tackling the Gender Pay Gap: Valuation and Distribution of Paid Work and Unpaid Care Work“), die im Dezember 2020 unter deutschem Ratsvorsitz beschlossen wurden.
Existenzgründerinnen unterstützen
Beim Thema Gründerinnen formuliert der Vertrag:
„Wir wollen den Anteil von Gründerinnen im Digitalsektor erhöhen. Dafür schaffen wir ein Gründerinnen-Stipendium und reservieren einen Teil des Zukunftsfonds.“ (Seite 19)
„Wir verabschieden eine umfassende Start-up-Strategie. Hürden für Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund beim Zugang zu Finanzierungen und Förderungen bauen wir ab; besseren Zugang zu Wagniskapital für Gründerinnen stellen wir sicher.“ (Seite 30)
„Durch einen erleichterten Zugang zur freiwilligen Arbeitslosenversicherung unterstützen wir auch Selbstständige sowie Gründerinnen und Gründer.“ (Seite 69)
Auch der 2021 veröffentlichte Dritte Gleichstellungsbericht der Bundesregierung („Digitalisierung geschlechtergerecht gestalten“) befasst sich mit der Förderung gleichberechtigter digitalisierungsbezogener Unternehmensgründungen. Die Sachverständigenkommission zum Dritten Gleichstellungsbericht empfiehlt hier unter anderem, den gleichberechtigten Zugang zu Gründungskapital zu gewährleisten und die Sichtbarkeit von Gründerinnen durch Kampagnen und Veranstaltungen zu erhöhen und Netzwerkbildung zu stärken.
Die Bundesregierung unterstützt bereits mit verschiedenen Maßnahmen die Erhöhung der Sichtbarkeit von Gründerinnen und Unternehmerinnen sowie deren bessere Vernetzung. Zu nennen sind hier die Vorbild-Unternehmerinnen der vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz geförderten Initiative „FRAUEN unternehmen“ sowie die vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend geförderten Projekte „Selbst ist die Frau“ des Deutschen LandFrauenverbandes e. V. (2019 – 2021) und die Roadshow „Meine Zukunft: Chefin im Handwerk“ der bundesweiten gründerinnenagentur (bga). Im Rahmen des vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ebenfalls geförderten bga-Projekts „Frauen Unternehmen Zukunft“ (2019 – 2021) wurden zudem Handlungsempfehlungen zu Zukunftsfeldern für Gründerinnen erarbeitet, so zur Digitalisierung (2019), zu Zukunftsmodellen weiblicher Selbstständigkeit (2020) und zur Nachhaltigkeit bei Gründungen (2021).
Frauen im Handwerk stärken
Der Vertrag nimmt auch ausdrücklich Bezug auf das Handwerk:
„Frauen im Handwerk werden wir stärken.“ (Seite 30)
Um Frauen für berufliche Optionen im Handwerk zu sensibilisieren, fördert das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend die Roadshow „Meine Zukunft: Chefin im Handwerk“ der bundesweiten gründerinnenagentur (bga).
Familienbesteuerung weiterentwickeln
Mit Blick auf Fehlanreize für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen am Erwerbsleben planen die Koalitionäre eine Weiterentwicklung der Familienbesteuerung:
„Wir wollen die Familienbesteuerung so weiterentwickeln, dass die partnerschaftliche Verantwortung und wirtschaftliche Unabhängigkeit mit Blick auf alle Familienformen gestärkt werden. Im Zuge einer verbesserten digitalen Interaktion zwischen Steuerpflichtigen und Finanzverwaltung werden wir die Kombination aus den Steuerklassen III und V in das Faktorverfahren der Steuerklasse IV überführen, das dann einfach und unbürokratisch anwendbar ist und mehr Fairness schafft.“ (Seite 115)
"Eine solche Reform wird „Familien dabei unterstützen, wenn sie […] Erwerbs- und Sorgearbeit partnerschaftlich aufteilen wollen“ (Seite 100).
Mini- und Midijobs reformieren
In einem Zusammenhang mit der Besteuerung von Familieneinkommen steht auch eine Reform der Mini- und Midijobs, die die Regierung angehen will:
„Bei den Mini- und Midi-Jobs werden wir Verbesserungen vornehmen: Hürden, die eine Aufnahme versicherungspflichtiger Beschäftigung erschweren, wollen wir abbauen. Wir erhöhen die Midi-Job-Grenze auf 1.600 Euro. Künftig orientiert sich die Minijob-Grenze an einer Wochenarbeitszeit von 10 Stunden zu Mindestlohnbedingungen. Sie wird dementsprechend mit Anhebung des Mindestlohns auf 520 Euro erhöht. Gleichzeitig werden wir verhindern, dass Minijobs als Ersatz für reguläre Arbeitsverhältnisse missbraucht oder zur Teilzeitfalle insbesondere für Frauen werden. Die Einhaltung des geltenden Arbeitsrechts bei Mini-Jobs werden wir stärker kontrollieren.“ (Seite 70)
Hierzu wurden bereits Gesetzentwürfe vorgelegt. Hervorzuheben ist dabei, dass die bisherige „Abbruchkante“ nach Überschreiten der Minijob-Grenze abgeschafft werden soll. Nach den Plänen der Bundesregierung würde damit ein großer Fehlanreiz für den Übergang in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung beseitigt werden.
Haushaltsnahe Dienstleistungen fördern
Um mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigung geht es auch bei der Förderung haushaltsnaher Dienstleistungen. Die Vertragspartner planen hier, ein neues Fördersystem für die Inanspruchnahme Haushaltsnaher Dienstleistungen einzuführen:
„Durch die Förderung haushaltsnaher Dienstleistungen unterstützen wir die Vereinbarung von Familie und Beruf, die Erwerbsbeteiligung von Ehe- und Lebenspartnern und schaffen gleichzeitig mehr sozialversicherte Arbeitsplätze. Die Inanspruchnahme familien- und alltagsunterstützender Dienstleistungen erleichtern wir durch ein Zulagen- und Gutscheinsystem und die Möglichkeit für flankierende steuerfreie Arbeitgeberzuschüsse. Die Zulagen und die bestehende steuerliche Förderung werden verrechnet. Sie dient der Förderung sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung im Haushalt. Profitieren sollen zunächst Alleinerziehende, Familien mit Kindern und zu pflegenden Angehörigen, schrittweise alle Haushalte.“ (Seite 70)
Die Förderung sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung durch Zuschüsse für die Inanspruchnahme haushaltsnaher Dienstleistungen ist auch Bestandteil der im Juli 2020 verabschiedeten ressortübergreifenden Gleichstellungsstrategie der Bundesregierung.
Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat in diesem Zusammenhang Möglichkeiten geprüft, um erwerbstätige Eltern, Alleinerziehende, ältere Menschen und pflegende Angehörige unter bestimmten Voraussetzungen finanziell bei der Inanspruchnahme von haushaltsnahen Dienstleistungen zu unterstützen.
Die von Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend geförderte Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) „Bringing household services out of the shadow“ hat im Juli 2021 wertvolle Erkenntnisse zu den wirtschaftlichen Effekten einer solchen finanziellen Unterstützung geliefert. Ebenfalls 2021 hat eine technische Machbarkeitsstudie die Voraussetzungen und Kosten einer digitalen Gutschein-Plattform geprüft.
Das ebenfalls von Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend geförderte Kompetenzzentrum Professionalisierung und Qualitätssicherung haushaltsnaher Dienstleistungen (PQHD) hat ein Konzept zur Zertifizierung von Dienstleistungsanbietern nach Qualitätskriterien und Arbeitsstandards entwickelt. Die im Kompetenzzentrum entwickelte modulare Teilqualifizierung für haushaltsnahe Dienstleistungen und Hauswirtschaft bietet darüber hinaus einen Referenzrahmen für Bildungsträger und Arbeitsagenturen zur Qualifizierung von Arbeitskräften in diesem Dienstleistungssektor mit dem Ziel der Integration in den (legalen) Arbeitsmarkt.
Ein ehrgeiziges Programm
Auch über die hier genannten Themen hinaus formuliert der Koalitionsvertrag Ansätze für mehr Gleichstellung am Arbeitsmarkt, zum Beispiel mit Ausführungen zur Arbeitsmarktintegration von Migrantinnen und Frauen mit Fluchthintergrund, zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf, zu Kinderbetreuung und Pflege.
Die Koalitionäre haben sich damit ein ehrgeiziges Programm für die nächsten Jahre gegeben. Das Ziel ihrer Bemühungen formulieren sie klar im Koalitionsvertrag: „Unsere Maxime ist eine freie Gesellschaft, in der die Gleichstellung von Frauen und Männern verwirklicht ist sowie unterschiedliche Lebensentwürfe und Biografien ihren Platz haben.“ (Seite 6)