Digitalisierung geschlechtergerecht gestalten Gutachten zum Dritten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung

Cover: Digitalisierung geschlechtergerecht gestalten: Das Gutachten zum Dritten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung
© Geschäftsstelle Dritter Gleichstellungsbericht

Die Bundesregierung legt laut Beschluss des Deutschen Bundestages sowie des Bundesrats einmal in jeder Legislaturperiode einen Bericht zur Gleichstellung von Frauen und Männern vor. Franziska Giffey, die damalige Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, beauftragte im April 2019 die Sachverständigenkommission unter Vorsitz von Frau Professorin Aysel Yollu-Tok mit der Erstellung des Gutachtens zum Dritten Gleichstellungsbericht. Dieses wurde im Januar 2021 veröffentlicht.

Die Ausgangsfrage für die Expertinnen und Experten lautete, welche Weichenstellungen erforderlich sind, um die Entwicklungen in der digitalen Wirtschaft so zu gestalten, dass Frauen und Männer gleiche Verwirklichungschancen haben. Auf Basis aktueller Erkenntnisse wurden von der Sachverständigenkommission Analysen und hieraus folgende Handlungsempfehlungen entwickelt, die vielfältige Impulse zur künftigen Politikgestaltung beinhalten.  

"Die Digitalisierung öffnet ein Gelegenheitsfenster", so die Vorsitzende der Sachverständigenkommission, Prof. Dr. Aysel Yollu-Tok, bei der Übergabe des Gutachtens. "In diesem scheinbar rein technischen Prozess können und müssen wir herrschende Geschlechterverhältnisse sichtbar machen, Geschlechterstereotype hinterfragen und Machtverhältnisse neu verhandeln. Denn ob wir mit der Gleichstellung der Geschlechter vorankommen oder zurückfallen, hängt von den Rahmenbedingungen und der Gestaltung der digitalen Transformation ab."

Digitale Transformation im Fokus

Mit dem Schwerpunktthema „Digitalisierung“ erfolgt im Dritten Gleichstellungsbericht erstmals die Fokussierung auf ein einziges Thema.

"Welche Bedeutung die Digitalisierung mittlerweile für die gesamte Gesellschaft erreicht hat, zeigte sich während der Erstellung des Gutachtens durch die Einschränkungen der Corona-Pandemie noch einmal verstärkt", "so Prof. Dr. Yollu-Tok.

Hier sei zu beobachten gewesen, mit welcher Geschwindigkeit und mit welchen großen Auswirkungen durch die Digitalisierung hervorgerufene Veränderungen die Verwirklichungschancen von Menschen beschneiden können, wenn die Anwendungsmöglichkeiten neuer Technologien nicht fair und geschlechtergerecht ausgestaltet sind.

Digitale Technologien entfalten sich nicht im luftleeren Raum, heißt es im Gutachten. Verwirklichungschancen im Lebensverlauf sind nach wie vor abhängig vom Geschlecht. Wer einen schlechteren Zugang zu digitalen Technologien hat, verfügt über weniger Möglichkeiten, am Arbeitsmarkt teilzuhaben, soziale Beziehungen zu pflegen und politisch zu partizipieren. Derzeit gibt es deutliche geschlechtsbezogene Zugangsbarrieren und erhebliche Unterschiede beim sogenannten Digitalisierungsgrad von Frauen und Männern.

Die gesamte Gesellschaft im Blick: Empfehlungen für eine geschlechtergerechte Digitalisierung

Für ihr Gutachten haben die Sachverständigen fünf Themenbereiche erfasst, analysiert und insgesamt 101 Handlungsempfehlungen formuliert, um die sich durch die Digitalisierung öffnenden Verwirklichungschancen geschlechterunabhängig für alle zu stärken:

  • Als Digitalbranche ordnen die Fachleute den Bereich ein, in dem die für die Digitalisierung zentralen digitalen Technologien entwickelt und gestaltet werden. Die Sachverständigenkommission empfiehlt hier unter anderem eine gleichstellungsorientierte Veränderung der Technikgestaltung und der in der Digitalbranche herrschenden Arbeits- und Organisationskultur. Zudem sollten technologische Innovationen stärker als soziotechnische Innovationen verstanden werden. So sollen weibliche Gründungsaktivitäten sichtbarer und das stereotype Bild des männlichen Unternehmers weniger präsent werden.
  • Die Digitale Wirtschaft versteht die Kommission als alle wirtschaftlichen Aktivitäten, in denen die Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) im Zentrum stehen. Die Expertinnen und Experten konzentrierten sich in diesem Bereich auf die sogenannte Plattformökonomie. Diese neue Form der Arbeit verspricht etwa im Hinblick auf die Vereinbarkeit von Erwerbs- und Sorgearbeit Chancen, birgt aber auch gleichstellungsrelevante Risiken und kann aufgrund des nicht geklärten rechtlichen Status der Plattformarbeitenden zu Sackgassen im Lebensverlauf führen.
  • Unter digitalisierter Wirtschaft wird der Bereich verstanden, in dem IKT-Technologien zur Unterstützung bestehender Geschäfts- und Arbeitsprozesse genutzt werden. Hier sehen die Sachverständigen das Potenzial, durch die Digitalisierung Gleichstellungszielen näherzukommen, sofern die Rahmenbedingungen stimmen. Dazu zählt laut dem Gutachten unter anderem die gesetzliche Verankerung mobiler Arbeit mit entsprechenden Regelungen zum Arbeits-, Gesundheits- und Datenschutz.
  • Vierter und alles umfassender Bereich ist die Digitalisierung der Gesellschaft. Digitale Technologien erleichtern es, verschiedene Lebensbereiche miteinander zu verbinden, bringen aber auch gleichstellungsrelevante Risiken mit sich. Als Beispiele nennen die Expertinnen und Experten Stereotype in Sozialen Medien und geschlechtsbezogene digitale Gewalt. Die zunehmende Nutzung von Daten durch den Staat oder private Unternehmen berge außerdem die Gefahr, dass Verwirklichungschancen beschnitten werden.
  • Abschließend bilden die gleichstellungspolitischen Strukturen und Instrumente den „Nährboden“, der eine gleichstellungsorientierte Digitalisierung befördert, und die es daher zu stärken und in Bezug auf die Digitalisierung anzupassen gilt.

Das Gutachten bildet zusammen mit der Stellungnahme der Bundesregierung und der Rezeptionsanalyse -  im Sinne einer Dokumentation der öffentlichen Diskussion der Empfehlungen aus dem Zweiten Gleichstellungsbericht als Anhang -  den Dritten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung. Dieser knüpft an die wichtigsten Ergebnisse und Empfehlungen des Zweiten Gleichstellungsberichts „Erwerbs- und Sorgearbeit gemeinsam neu gestalten“ an.