perspektiven-schaffen.de: Sie sind der 1. Vorsitzender des „Väter in Köln e. V.“, was hat Sie veranlasst, sich in der Väterarbeit zu engagieren?
Jürgen Kura: Meine eigene Vaterschaft begann vor 19 Jahren mit einer dramatischen Geburt inklusive Notkaiserschnitt. Plötzlich befand ich mich im Rettungswagen mit unserem Baby auf dem Weg in die Kinderklinik – getrennt von meiner Frau, die in der Geburtsklinik bleiben musste. Schlagartig wurde mir klar, wie elementar wichtig ich für meine Frau und unsere kleine Tochter bin. Ich hatte sie als erster auf dem Bauch, ich habe sie als erster gewickelt und mit der Flasche gestillt. Da explodieren die Bindungshormone. Ich nahm dann lange Erziehungszeit, das Elterngeld gab es damals noch nicht, und blieb auch als freier TV-Journalist an dem Thema Vatersein dran. Generell suchte ich den Austausch mit anderen Vätern zu ihren eigenen Erfahrungen, sprach auch einfach wildfremde Väter an. Zum großen Teil hatte sie noch nie jemand nach ihren Gefühlen gefragt und Treffpunkte für sie gab es auch nicht. Auch die von mir interviewten Expertinnen und Experten aus der Väterforschung waren gedanklich viel weiter als die realen praktischen Angebote in Köln. So gründeten wir nach langem Vorlauf im Jahr 2010 den Verein „Väter in Köln“, übrigens auch mit weiblicher Beteiligung, um sozusagen den Kopf auf die Füße zu stellen und neue Projekte für Väter zu kreieren. Und da ich zeitlich am flexibelsten war, wurde ich Vorsitzender, der ich bis heute bin.
perspektiven-schaffen.de: Welche Schwerpunkte setzt der Verein in Sachen Väterarbeit?
Jürgen Kura: Wir bieten abwechselnd in zwei verschiedenen Stadtbezirken das Vätercafé am Samstag, mittlerweile auch in den Ferienzeiten. Das ist ein niederschwelliger Begegnungsraum für Väter und Kinder. Hier wird gemeinsam gefrühstückt, gespielt und über alles rund um Familie geredet. Da ich ja selber als Vater Krabbelgruppen besucht habe, weiß ich, dass Väter die gleichen Themen haben wie Mütter, aber oft in Gegenwart von Frauen nicht offen sprechen. Das Neue für Männer ist auch, dass sie sich bei diesem Vätertreff außerhalb eines konkurrenz-, hierarchie- und effizienzorientierten Orts – wie der Arbeitsstelle – und dann auch noch mit ihren Kindern begegnen. Sie erleben also nicht nur ihre eigenen Kinder, sondern lernen andere Väter aus anderen Milieus, Berufen und Ländern als Vorbilder, Ansprechpartner und Ressourcenquellen kennen. Darüber hinaus werden einige von ihnen selber aktiv, leiten das Café, bieten Workshops (Basteln, Backen, Erste Hilfe, Judo…) an oder bilden sich zum Vater-Kind-Trainer fort und leiten wiederum Angebote für Väter in Kitas.
Dazu kommt unsere Elternzeit-Gruppe für Väter, die sechs Monate und länger in Elternzeit gehen, Vater-Kind-Wochenenden mit ihrer abenteuerlich-romantischen - Komponente. Ratsuchende Väter vermitteln wir in die etablierte Beratungsstruktur oder unsere Fachkräfte beraten sie selbst. Dabei sind uns vor allem die Väter in schwierigen Trennungslagen wichtig, denen wir eine professionell geleitete Coaching-Gruppe anbieten. Last but not least führen wir einmal im Jahr mit anderen Organisationen den „Vatertag der Vielfalt“ und Fachtagungen für Multiplikatorinnen und Multiplikatoren durch, wie zum Beispiel. in diesem Jahr mit dem Titel „Vater 4.0 – vom Traditionsmodell zum Traumtyp“.
perspektiven-schaffen.de: Wie erreichen Sie die Väter und wie schaffen Sie es, sie für diese Arbeit zu interessieren?
Jürgen Kura: Ich überspitze es mal: Nur wo „Väter“ draufsteht, sind auch Väter drin. Zwei Ursachen sind dafür verantwortlich: Zum einen hat die Familienbildung, die früher ja eine reine Mütterbildung war, nie ihren Ruf abgelegt, das auch heute noch zu sein, zum zweiten leben wir in einer sprachsensiblen Zeit, in der jede gesellschaftliche Minderheit explizit benannt werden will, weil sie sich sonst nicht angesprochen fühlt, so auch die aktiven Väter. Kurzum: Wer selber Vater ist, googelt nach dem Begriff „Vater“ und nicht nach dem Begriff „Familie“. Deswegen ist Suchmaschinenoptimierung für uns ganz wichtig – das nennen wir „digitale Niedrigschwelligkeit“.
Ganz ohne Printmedien geht es aber auch nicht. Anfangs haben wir unsere Faltblätter auf Spielplätzen, Fußgängerzonen, Straßenfesten und auch in Kitas verteilt. Das Erfolgsrezept ist, diese auch an junge Mütter zu geben. Wir sind natürlich auch in den Terminkalendern der Familienmagazine vertreten, die nach wie vor meist von Frauen gelesen werden. Immer wieder sagen Väter, dass ihre Partnerin/Ehefrau sie zu uns „geschickt“ habe. Oder es sind Freunde oder Nachbarn, die Väter auf uns aufmerksam machen. Aber all das wären noch keine hinreichenden Gründe, wenn Väter nicht selber nach einer eigenen Identität suchen und dafür Input von anderen Vätern benötigen würden. Und das Allerwichtigste ist: Wenn die Kinder sich bei uns wohl fühlen, kommen die Väter wieder.
perspektiven-schaffen.de: Erhalten Väter inzwischen ausreichend gesellschaftliche bzw. politische Anerkennung oder ist hier noch Luft nach oben?
Jürgen Kura: „Anerkennung“ hört sich ein wenig nach „Heldenverehrung“ an, so wird es jedenfalls den emanzipativen Initiativen immer wieder vorgeworfen, die Väter für deren wachsenden Anteil an der Familienarbeit würdigen. Nein, um Heldenhymnen oder Denkmäler geht es nicht. Eine realistische Würdigung wäre es bereits, wenn es überall in der Familienbildung Väterkurse gäbe, doch dem ist nicht so. Auf der einen Seite wird der „neue Vater“ in Zeitungsartikeln beschworen, auf der anderen Seite ist das Thema „Väter“ oft noch ein Niemandsland für Fachkräfte. Wer tatsächlich mehr für die Gleichstellung von Männern und Frauen tun wollte, müsste die Familienbildung reformieren oder das Thema stärker in die Schule und Arbeitswelt mit einbeziehen, wie es zurzeit nur vereinzelt geschieht. Oft erscheint mir Politik zu wenig gestaltend und präventiv zu denken, sondern nur reaktiv und interventiv. Das genügt nicht.
perspektiven-schaffen.de: Thematisieren Sie in Ihrer Arbeit auch das Thema Gleichstellung mit den Männern/Vätern?
Jürgen Kura: Das machen wir bei jeder Ansprache, in jedem Gespräch, in jedem Text. Doch Worte alleine reichen nicht. Wenn ein Vater es nicht persönlich attraktiv fände, mehr Energie in Familienarbeit zu stecken und eine Frau an seiner Seite zu haben, die beruflich aktiv wäre, bliebe das Wort ein nicht gelebtes Ideal. Das gleiche gilt selbstverständlich auch umgekehrt. Berufliches Engagement wird gemeinhin ja mit mehr Geld, sozialer Sicherheit, besserer Altersvorsorge etc. belohnt. Was ist der Anreiz für einen höheren Anteil an der Familienarbeit, der ja, wie man es auch dreht und wendet – bei Elternzeit vorübergehend oder bei Teilzeit langfristig – eine Einkommensreduzierung zur Folge hat? Die Antwort liegt eigentlich auf der Hand: mehr Oxytocin, das unglaubliche Glückshormon. Das gilt für Mütter wie auch für Väter. Mehr väterliche Anteilnahme an der Erziehungsverantwortung geht einher mit einer Verbesserung des Kindeswohls, Entlastung der Mutter und Steigerung des eigenen Wohlbefindens.
perspektiven-schaffen.de: Welche Wünsche gibt es Ihrerseits, das Thema Gleichstellung von Frauen und Männern weiter voranzubringen?
Jürgen Kura: Eine wesentlich ökonomische Benachteiligung entsteht aus der schlichten Tatsache heraus, dass Frauen durch eine potenzielle Mutterschaft ausfallen können. Traditionell glauben Arbeitgeber bzw. Arbeitgeberinnen, dass Männer zeitlich verfügbarer sind. Um das auszugleichen, wäre es naheliegend, eine Pflicht für Väter zur Elternzeit einzuführen bzw. diese unter den Elternpaaren hälftig aufzuteilen oder mehr Teilzeitarbeitsplätze für Väter zu schaffen. Doch weil das alles mit der deutschen Wirtschaft nicht umsetzbar ist, brauchen wir meiner Meinung nach eine Reform des Elterngeldgesetzes. Ich empfehle darüber hinaus eine früher einsetzende Familienbildung. Bereits in der Kita, Grundschule und Jugendzentren müssten Mädchen und Jungen faire Aushandlungsprozesse üben, sich mit Teamwork, Rollenverteilung und Kindererziehung auseinandersetzen. Spätestens aber in Geburtsvorbereitungskursen müsste das Thema „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ gerade in Hinblick auf die Männer thematisiert werden. Immer noch übernehmen einige Krankenkassen noch nicht einmal den Teilnahmebetrag von Vätern an solchen Kursen. Übrigens bin ich auch für eine Frauenquote in der Politik, ein Verbot von familienfeindlichen nächtlichen Ratssitzungen und männliche Mitarbeiter bei Gleichstellungsbeauftragten, die wiederum auch von Männern gewählt werden könnten. Es kann nicht sein, dass Männer sich bei dem Thema heraushalten. Eine qualitativ gute Kinderbetreuung und Ganztagsschulen sollte ohnehin die Regel sein.
perspektiven-schaffen.de: Wenn es um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf geht, wo sollte dieses Thema ansetzen, damit es im Alltag mit Kind oder Kindern gelebt werden kann?
Jürgen Kura: Einige Väter sagen mir, in ihrer speziellen Branche sei es schwierig, Elternzeit zu nehmen. Teilzeitstellen gebe es entweder gar nicht oder nicht für ihre Qualifikation – oft gilt das für Einzelhandel, Industrie und Handwerk – die Anträge für Elterngeld seien zu kompliziert, die entsprechende Auszahlungsstelle sei nicht gut informiert, das Elterngeld sei mit einem Einkommensverlust von 35 Prozent im unteren Einkommensbereich zu unattraktiv oder es dauere teilweise mehrere Monate, bis das erste Geld überhaupt auf dem Konto wäre. Außerdem haben einige auch noch Angst davor, dass sie den Anschluss an die rasante technische Entwicklung und Digitalisierung verlieren. Einige Väter lassen sich auch während der Elternzeit regelmäßig im Büro blicken. Auch bei den Themen Betriebskitas und Homeoffice ist noch Luft nach oben. Kurzum: Ein Gesetz allein reicht nicht aus, es muss gut flankiert werden, die Paare müssen besser begleitet werden, auch um Konflikte zu vermeiden. Vereinbarkeit von Familie und Beruf muss endlich zur Vätersache gemacht werden und Projekte, die emanzipative Arbeit mit Vätern zum Inhalt haben, müssten langfristig gefördert werden.
perspektiven-schaffen.de: Gibt es Forschungsergebnisse, die darauf schließen lassen, dass es sich lohnt, die Gleichstellung – insbesondere von Männern/Vätern – mehr in den Blick zu nehmen?
Jürgen Kura: Oh ja. Ich liste mal ein paar Ergebnisse auf: Väter mit berufstätigen Partnerinnen beteiligen sich mehr an der Familienarbeit und haben ein egalitäres Geschlechtsrollenkonzept. Involvierte Väter stellen das traditionelle Rollenkonstrukt, wonach der Mann der alleinige, karriereorientierte Familienernährer sein soll, in Frage. Moderne Rollenbilder bedeuten zugleich auch ein höheres Einkommen von Frauen. Der zeitliche Einsatz von Vätern für die Kinderbetreuung nimmt seit der Elterngeldreform insgesamt zu. Vor allem das stärkere Engagement der Väter in den Monaten nach der Geburt entlastet die Partnerin und unterstützt ihren Wiedereinstieg in den Beruf und sie hat darin auch mehr Erfolg – wodurch wiederum die materielle Basis der Familie gestärkt und die Altersvorsorge der Frau besser gesichert wird. Und so weiter. Bemerkenswert finde ich, dass jede Region in Deutschland anders „tickt“ und, dass trotz aller offensichtlichen Vorteile durch eine Gleichstellung von Frauen und Männern eine Mehrheit der befragten Mütter eine Babypause nach der Geburt von drei Jahren immer noch für angemessen hält, während die Männer weniger arbeiten wollen. Offenbar ist Deutschland ein ideologisch widersprüchliches Land und/oder es gibt ein Vermittlungsproblem von bestimmten Zusammenhängen.
perspektiven-schaffen.de: Auf welche zukünftigen Ziele arbeitet der „Väter in Köln e. V.“ hin und welche Unterstützung hätten Sie gerne dafür?
Jürgen Kura: Unser Wunsch für Köln ist ein Väterzentrum, ähnlich wie es bereits in Berlin und Hamburg existiert. Als Anlauf- und Kompetenzstelle für werdende, junge Väter und Väter in allen Lebensphasen und -lagen könnte es dafür sorgen, sie mehr und nachhaltig in die Familie hereinzuholen und ihnen die Themen wie Gleichstellung und Vereinbarkeit zu vermitteln. Gerade junge Väter in wirtschaftlich schwachen Stadtgebieten und mit Einwanderungsgeschichte wollen wir besser erreichen. Dies werden wir mit unserem nächsten Projekt verstärkt versuchen. Auf die kommunale Förderung, die wir bekommen, sind wir stolz, doch dies allein genügt nicht, um eine tiefe langfristige Arbeit zu machen.
perspektiven-schaffen.de: Möchten Sie noch etwas anmerken?
Jürgen Kura: Ich würde mir eine Landes- oder Bundesstiftung wünschen, die explizit die Forschung und praktische Projekte zur Männer- und Väter-Emanzipation finanziell fördert und die Ergebnisse öffentlichkeitswirksam publiziert. Natürlich darf das Geld nicht der Frauenförderung weggenommen werden, das wäre absurd. Insgesamt müsste uns die Gleichstellung mehr wert sein.