Geschlechtergerechte Alterssicherung in der „Rush Hour des Lebens“
Laura Rauschnick leitet das Projekt „Was verdient die Frau? Wirtschaftliche Unabhängigkeit“ des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Das Projekt informiert und vernetzt junge Frauen und setzt sich damit für die wirtschaftliche Unabhängigkeit und eigene Existenzsicherung von Frauen ein; es wird vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert. Im Gespräch mit perspektiven-schaffen.de geht es um die Themen Altersvorsorge und den Gender Pension Gap. Es wird beleuchtet, welche geschlechterbezogenen Ungleichheiten in der Altersvorsorge bestehen und wie wichtig eine frühzeitige Beschäftigung mit dieser Thematik ist.
perspektiven-schaffen.de: Warum setzen sich Frauen anders als Männer und häufig weniger mit dem Thema Alterssicherung auseinander?
Laura Rauschnick: Nicht nur Frauen, sondern auch Männer setzen sich grundsätzlich zu wenig mit dieser Thematik auseinander. Dass sich jedoch insbesondere Frauen seltener damit befassen, liegt zu einem großen Teil an veralteten traditionellen Rollenbildern, die unsere Gesellschaft nach wie vor prägen. Demnach wird die Erwirtschaftung des Familieneinkommens beim Mann gesehen, wie auch die grundlegende Auseinandersetzung mit Finanzen in der Familie. In der Folge führt das zu einer Art Sicherheit, sich finanziell auf den Mann als Partner verlassen zu können, ohne weitreichende Folgen mitzudenken.
Besonders wichtig ist hier entsprechende Aufklärung, da Frauen öfter von Altersarmut bedroht sind, sie den Großteil der unbezahlten Arbeit übernehmen und längere Erwerbspausen haben sowie häufiger in Teilzeit arbeiten. Frauen müssen dahingehend sensibilisiert werden, und genau das wollen wir durch unsere Arbeit erreichen. Wir vermitteln Wissen und Fakten und zeigen Eventualitäten auf, welche die finanzielle Versorgung beeinflussen – von Scheidungen bis hin zu Unfällen und zur Berufsunfähigkeit – und verdeutlichen gleichzeitig die Vorteile einer finanziellen partnerschaftlichen Aufteilung. Das Ziel ist die selbstständige Auseinandersetzung mit den eigenen Finanzen, sodass eine wirtschaftliche Abhängigkeit vom Partner – oder auch von der Partnerin – vermieden werden kann. Denn insbesondere bei unserer Zielgruppe von jungen Frauen merken wir, dass es zu dieser Thematik an Wissen mangelt.
perspektiven-schaffen.de: Was sollten Frauen bei ihrer Vorsorge besonders beachten? Welche Fallstricke gibt es?
Laura Rauschnick: Der erste große Fallstrick ist die Geburt des ersten Kindes. Statistisch gesehen sind Männer ab diesem Zeitpunkt vermehrt berufstätig, während Frauen ihre Erwerbstätigkeit teilweise ganz aussetzen und in Teilzeit wieder einsteigen. Das Spannende ist, dass viele Paare trotz vorheriger Auseinandersetzung mit diesem Thema schlussendlich doch in dieses Rollenbild zurückfallen. Diese „Rush Hour des Lebens“ – Berufseinstieg, Familie, Kinder – bringt die größten Fallstricke und Hürden mit sich. In diesem Lebensabschnitt herrscht nach wie vor großes Unwissen darüber, dass die Entscheidungen zur Teilzeitarbeit oder die Unterbrechung der Erwerbstätigkeit langfristige Folgen mit sich bringen.
Dabei geht es weniger um individuelle Lösungen, da die Probleme dahinter strukturell bedingt sind. So führt das Elterngeld häufig zu der Entscheidung, dass die mehrverdienende Person weiter arbeitet, damit die Familie insgesamt mehr Geld zur Verfügung hat. Das führt häufig dazu, dass klassische Rollenbilder weiterbestehen, weil die Einkommen ungleich verteilt sind. Hier braucht es mehr Informationen für Eltern und eine Sensibilisierung für Unternehmen, Arbeitgeber und die Eltern selbst, dass man die Elterngeldmonate fair aufteilen kann. Denn viele Väter befürchten nach wie vor berufliche Nachteile, wenn in ihren Unternehmen noch eine solche Unternehmenskultur herrscht.
Frauen, die vor einer solchen Herausforderung stehen, sollten sich bewusst machen, was die Entscheidung für langfristige Auswirkungen mit sich bringt. Wenn die Elternzeit paritätisch geteilt wird, mag das Einkommen für den Moment geringer sein, aber langfristig zahlen beide Elternteile in die Rente ein und können wirtschaftlich unabhängig bleiben.
perspektiven-schaffen.de: Welche Lebensereignisse sollten Frauen verstärkt mit einer finanziellen Brille betrachten? Und warum?
Laura Rauschnick: Die Geburt des ersten Kindes ist, wie schon gesagt, ein besonders großer Einschnitt in die finanzielle Vorsorge von Frauen. Natürlich fällt jede Entscheidung individuell, es sollte jedoch ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, welche Auswirkungen eine Reduzierung der Arbeitszeit auf die Rente mit sich bringt. Dasselbe gilt auch für Arbeitszeitverkürzungen durch die Pflege von Angehörigen. Die Beschäftigung mit der Frage, wie diese nicht entlohnte Zeit ausgeglichen werden kann, wird dann essenziell. Gleichzeitig ist es empfehlenswert, die Arbeit in Teilzeit möglichst vollzeitnah zu gestalten und die Teilzeitbeschäftigung zeitnah wieder aufzustocken, um finanziellen Verlusten mit Blick auf die Altersvorsorge entgegenzuwirken.
perspektiven-schaffen.de: Was sollten Finanzberater:innen noch mehr im Blick haben, wenn sich Frauen mit der Bitte um Beratung an sie wenden?
Laura Rauschnick: Frauen sollten vor allem den Ausgleich für unbezahlte Arbeit im Blick behalten. Das bedeutet eine Auseinandersetzung damit, was es heißt, in Teilzeit zu arbeiten und dass sie während dieser Zeit weniger in ihre Altersvorsorge einzahlen. In Beratungsgesprächen sollte das besonders berücksichtigt werden.
Wichtig ist es, sich so früh wie möglich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Zum Beispiel schon im Studijob oder Minijob – also sobald man anfängt, in die Renten einzuzahlen. Sensibilisierung sollte also schon während der Ausbildung oder dem Studium beginnen, um für die Rente und das Alter vorzusorgen. So sind Frauen beim Berufseinstieg schon darauf vorbereitet und können in den ersten Gehaltsverhandlungen schon informierte Entscheidungen treffen. Denn auch kleine Einzahlungen lohnen sich schon. Dabei lohnt es sich auch, sich selbst mit dem Thema zu beschäftigen – und sich nicht nur auf Banken oder Versicherungen zu verlassen. Hier kann es hilfreich sein, sich Verbündete im Freundinnen- oder Bekanntenkreis zu suchen und sich gemeinsam dem Thema zu nähern.
Das wichtigste Ziel ist die Sensibilisierung von Frauen dazu, informierte Entscheidungen zu treffen. Dabei hilft es, „einfach anzufangen“ – und dann zu merken, dass man hier schnell Anschluss an das Thema finden kann. Gleichzeitig spielt die strukturelle Ebene eine bedeutende Rolle: Denn die Gründe für diese Ungerechtigkeiten liegen in der strukturellen Benachteiligung und Diskriminierung von Frauen und in fortwährenden traditionellen Rollenbildern in unserer Gesellschaft. Um also etwas ins Rollen zu bringen und eine geschlechtergerechte Alterssicherung zu erreichen, muss vor allem an den großen Hebeln geschaltet werden. Zum Beispiel sollte die partnerschaftliche Arbeitsteilung gefördert werden, indem das Elterngeld eine paritätische Aufteilung belohnt und die Väterbeteiligung so gesteigert werden kann. Auch eine Väterfreistellung, also dass Väter nach der Geburt zwei Wochen von der Arbeit freigestellt sind, hilft dabei, dass Väter auch nachher engagierter bei der Übernahme von Familienverantwortung dabei sind. Außerdem müssen die Entgeltstrukturen fair werden und Rollenstereotype abgebaut werden, indem zum Beispiel mehr Frauen in Führungspositionen aufsteigen, frauendominierte Berufe besser bezahlt werden und die Berufswahl ohne Rollenklischees erfolgen kann und Frauen bei der Einstellung nicht mehr benachteiligt werden.
perspektiven-schaffen.de: Vielen Dank für das Gespräch!