Interview „Thüringer Agentur Für Fachkräftegewinnung“

Porträt Dr. Sigrun Fuchs
© LEG Thüringen mbH

perspektiven-schaffen.de: Frau Dr. Fuchs, als Referentin der Thüringer Agentur Für Fachkräftegewinnung (ThAFF) unterstützen Sie unter anderem Arbeitgeber:innen bei den Themen Vereinbarkeit von Beruf und Familie/Pflege sowie bei der familienbewussten Gestaltung von Arbeitsbedingungen in Unternehmen. Wie sieht Ihre Arbeit genau aus?

Dr. Sigrun Fuchs: "Mit der vom Freistaat Thüringen finanzierten ThAFF können Thüringer Unternehmen auf eine zentrale Anlaufstelle zurückgreifen, die gerade in den Bereichen Fachkräftesicherung, Vereinbarkeit von Beruf und Familie/Pflege sowie der Gestaltung einer modernen Personalpolitik ein breites Portfolio an Beratungs-, Informations- und Unterstützungsangeboten bietet. Mit konkreter Beratung, Vorträgen, Publikationen, Karrieremessen, Workshops und Fachtagungen, natürlich auch digital, sensibilisieren wir die Unternehmen für dieses Thema, welches für die Suche nach geeigneten Beschäftigten immer wichtiger wird. Familienfreundlich aufgestellte Unternehmen werden bei Fachkräften immer beliebter. Gleichzeitig sind sie Aushängeschild für den modernen Wirtschafts- und Beschäftigungsstandort Thüringen. Vor diesem Hintergrund pflegen wir einen engen Kontakt mit Personalverantwortlichen und Führungskräften und stellen gezielt deren Informationsbedarfe fest, um in der Folge passende Unterstützung anbieten zu können. Durch diese jahrelange Zusammenarbeit mit Thüringer Unternehmen können wir auch anderen am Thema Interessierten erfolgreich umgesetzte Beispiele vorstellen und konkrete Hinweise zur Gestaltung familienfreundlicher Angebote geben.“

perspektiven-schaffen.de: Angesichts des Wettbewerbs um Fachkräfte ist es für Unternehmen erforderlich, in familienbewusste Maßnahmen zu investieren. Wie erreichen Sie die Unternehmen mit Ihrem Angebot, damit aus guten Informationen alltagstaugliche Konzepte zur Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Pflege etabliert werden können?

Dr. Sigrun Fuchs: "Eine erste wichtige Anlaufstelle ist da natürlich unsere Webseite! Unter www.thaff-thueringen.de finden Unternehmen ein breites Informationsangebot zu ganz unterschiedlichen familienfreundlichen Maßnahmen. Darüber hinaus bieten wir thüringenweit regelmäßig Vorträge an, sind auf zahlreichen Berufs- und Karrieremessen oder anderen thematisch passenden Veranstaltungen präsent, digital oder analog. Hier kommen wir mit Thüringer Unternehmern und Unternehmerinnen in Kontakt und führen intensive Gespräche. Bei unserer täglichen Arbeit stellen wir immer wieder fest, dass Informationen über familienbewusste Maßnahmen mit den konkreten Gegebenheiten eines jeweiligen Unternehmens verknüpft sein müssen, damit sie erfolgreich genutzt werden können. Maßnahmen müssen nicht nur passgenau auf die Bedürfnisse der Beschäftigten abgestimmt werden, sondern auch auf die jeweiligen Bedingungen im Unternehmen. Hierbei gilt immer wieder: Bisherige Angebote müssen einbezogen, erweitert und die interne Unternehmenskommunikation überprüft werden. Werden bereits vorhandene Angebote wenig genutzt, helfen immer neue nicht weiter! Zunächst gilt es dann, Fehler in der Kommunikation zu beheben und die Bedarfe der Mitarbeiter:innen zu erfragen. Eine besondere Rolle kommt bei all diesen Prozessen der mittleren Führungsebene und den direkten Vorgesetzten zu. Sie wissen häufig, wo bei ihren Beschäftigten der Schuh drückt, zugleich wissen sie auch, wie sich familienfreundliche Maßnahmen konkret im Unternehmensalltag auswirken. Familienfreundlichkeit geht über einzelne Angebote hinaus, beginnt immer im Kopf und benötigt zu allererst ein Klima des Verständnisses für familiäre Anforderungen.“

perspektiven-schaffen.de: Wie profitieren Unternehmen von dieser Investition?

Dr. Sigrun Fuchs: "Engagierte Mitarbeiter:innen werden für den Erfolg eines Unternehmens gerade auch angesichts der steigenden Fachkräftenachfrage immer ausschlaggebender. Neben der Herausforderung, Neueinstellungen vornehmen zu können, ist das Halten und Binden von Fachkräften an das Unternehmen entscheidend für den Erfolg heutiger Unternehmen. Viele Studien belegen, dass familienfreundliche Arbeitgeber:innen einen niedrigeren Krankenstand, eine geringere Fluktuation von Beschäftigten, eine höhere Mitarbeitermotivation, Produktivität und Bewerberqualität aufweisen. Das Neubesetzen von Stellen ist erheblich teurer als die Umsetzung familienfreundlicher Angebote. Belegt ist gleichfalls, dass auch Bewerber:innen ohne aktuelle familiäre Anforderungen auf dieses Kriterium der Arbeitgeberattraktivität bei ihrer Entscheidung für ein bestimmtes Unternehmen achten.“

perspektiven-schaffen.de: Welche besonderen Herausforderungen bestehen für klein- und mittelständische Unternehmen (KMU) bei der Umsetzung familien- beziehungsweise pflegebewusster Maßnahmen?

Dr. Sigrun Fuchs: "Thüringen ist geprägt von einer eher kleinteiligen und mittelständischen Wirtschaftsstruktur. Gerade viele kleine Unternehmen verfügen in der Regel über keine eigene Personalabteilung. Dabei setzt die Umsetzung familien- und pflegebewusster Maßnahmen ein breites Wissen über die Arbeitsorganisation, verschiedene Arbeitszeitsysteme, vorhandene Serviceangebote sowie kommunale/regionale Angebote voraus. Häufig ist es nicht möglich, innerhalb des Unternehmens einen Mitarbeiter beziehungsweise eine Mitarbeiterin speziell nur für diese Aufgabe einzusetzen. Dies birgt leider die Gefahr, dass die Umsetzung familienbewusster Maßnahmen im Arbeitsalltag hinter anderen Aufgaben zurückstehen muss. Zusätzlich ist die Umsetzung von Angeboten teilweise von einer größeren Nutzerzahl abhängig, zum Beispiel bei Betreuungsangeboten für Kinder in Ferienzeiten. Hier sind regionale, branchenübergreifende Kooperationslösungen, die von uns schon mehrfach erfolgreich angeregt worden sind, ein gutes Mittel, um auch Beschäftigten kleinerer Unternehmen helfen zu können. Insgesamt benötigen KMU zielgerichtete Informationen und Unterstützung bei der Einführung solcher Maßnahmen, diese erhalten sie bei uns. Gleichzeitig stellen wir aber auch fest, dass kleine Unternehmen Vorteile besitzen, da hier nur wenige Hierarchieebenen existieren und individuelle passgenaue Lösungen oft kurzfristig umgesetzt werden können.“

perspektiven-schaffen.de: Auch in Thüringen steigt die Zahl der Pflegebedürftigen. Welche Angebote halten Sie vor, damit Personalverantwortliche und Beschäftigte auf das Thema „Pflege von Angehörigen“ vorbereitet sind?

Dr. Sigrun Fuchs: "Thüringer Unternehmen sehen sich mit einer wachsenden Zahl von Beschäftigten konfrontiert, die Angehörige pflegen. Die ThAFF bietet hier ganz konkrete Unterstützung an. Damit sich Personalverantwortliche, Führungskräfte und betroffene Beschäftigte schnell und einfach über das Thema informieren können, haben wir den ‚Betrieblichen Pflegekoffer Thüringen‘ entwickelt; seit 2016 gibt es das Informationsangebot stets aktuell und kostenfrei als Onlineversion auf unserer Webseite. Der Pflegekoffer enthält verdichtet Informationen – von gesetzlichen Regelungen zur Pflege über betriebliche Unterstützungsmöglichkeiten bis hin zu regionalen Ansprechpersonen und Angeboten. Für Arbeitgeber:innen ist der ‚Betriebliche Pflegekoffer‘ eine einfache und kostenfreie Möglichkeit, betroffene Beschäftigte zu unterstützen und zu zeigen, dass solche Fragen im Unternehmensalltag eine Rolle spielen. Ergänzend zum Pflegekoffer haben wir eine spezielle Schulung zum ‚Betrieblichen Pflegelotsen Thüringen‘ initiiert, die wir 2021 zum 'Betrieblichen Pflegelotsen Thüringen DIGITAL' weiterentwickelt haben. Dies ermöglicht Mitarbeiter:innen eine orts- und zeitunabhängige Teilnahme an der Schulung. Mehr als 150 Thüringer Unternehmen haben bis zum Ende des Jahres 2021 die Möglichkeit genutzt und mehr als 200 Mitarbeiter:innen zu Pflegelotsen ausbilden lassen. Diese stehen betroffenen Kollegen und Kolleginnen bei Eintritt eines familiären Pflegefalls beratend zur Seite und geben viele praktische Tipps, die vor allem in der ersten Phase eines eintretenden Pflegefalls für die Betroffenen wertvoll sind. Gleichzeitig verändern sich durch Pflegelotsen im Unternehmen der Blick und das Verständnis für die Herausforderung, mit denen sich pflegende Beschäftigte tagtäglich konfrontiert sehen. In der Folge werden so weitere pflegefreundliche Konzepte angeregt.“

perspektiven-schaffen.de: Welche Veränderungsprozesse haben Unternehmen während der Corona-Pandemie durchgeführt und gibt es Erkenntnisse oder Handlungsempfehlungen der ThAFF dazu, wie Unternehmen besonders gut auf solche herausfordernden Situationen reagieren können?

Dr. Sigrun Fuchs: "Die Herausforderungen der Corona-Pandemie trafen alle Unternehmen unerwartet, aber trotzdem gab es Unternehmen, die besser auf derartige Anforderungen vorbereitet waren. Wer bereits seit Jahren mobiles Arbeiten für Beschäftigte zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie angeboten hat, flexible Arbeitszeitmodelle als normal betrachtet und eine gute Kommunikationskultur zwischen Führungskräften und Mitarbeiter:innen etabliert hatte, war besser gerüstet. Mit der ersten für alle unerwarteten Schließung von Kindertageseinrichtungen und Schulen wurde die Bedeutung guter und verlässlicher Betreuung allen bewusst. Genauso stellte die Schließung der Tagespflegen pflegende Angehörige vor erhebliche Schwierigkeiten. Viele Unternehmen boten flexible Lösungen an, dehnten zum Beispiel den täglichen Arbeitszeitrahmen aus, es wurden Überstunden abgebaut und Freistellungen und Arbeitszeitreduzierungen vereinbart. In vielen Unternehmen wurde sichtbar, dass digitales und flexibles Arbeiten für sehr viel mehr Beschäftigte möglich ist, als man vorher dachte. Das zur Routine gehörende Mitarbeitergespräch, das auch die familiäre Situation einschließt und die Bereitschaft, auf Änderungen in diesem Bereich zu reagieren, sowie alle Aktivitäten zur Umsetzung einer familienbewussten Unternehmenskultur machen Unternehmen auch für zukünftige Herausforderungen krisenfester."

perspektiven-schaffen.de: Frau Dr. Fuchs, vielen Dank für das Gespräch!