Expertise Beruflicher Wiedereinstieg mit besonderen Herausforderungen

Cover der Broschüre Wiedereinstieg mit besonderen Herausforderungen
© Bundesverband für körper- und mehrfach­behinderte Menschen

Professorin Uta Meier-Gräwe sowie Astrid Kriege-Steffen und Katharina Buck von der Liebig-Universität in Gießen widmeten sich in ihrer Expertise einer besonderen Gruppe von beruflichen Wiedereinsteigerinnen und Wiederein­steigern: Eltern von Kindern mit einer Beeinträchtigung, die einen hohen Pflegebedarf nach sich zieht. Für ihre Studie werteten die Autorinnen die Fachliteratur aus und führten Interviews und Gruppendiskussionen mit betrof­fenen, wieder erwerbstätigen sowie nicht erwerbstätigen Eltern.

Betreuungs- und Unterstützungsangebote oft unzureichend

Wie die Expertise der Wissenschaftlerinnen zeigt, benötigt rund die Hälfte der Kinder in den untersuchten Familien auch nachts Unterstützung. In den allermeisten Familien übernimmt die Mutter fast die komplette Versorgung und Betreuung des pflegebedürftigen Kindes. Die Expertinnen machen eine gesell­schaftliche Erwartungshaltung aus, die diese Aufgabe quasi automatisch den Frauen zuspricht, die dafür eigene berufliche Pläne aufgeben. Einrichtungen sowie therapeutische Fachleute erwarten zudem häufig ein hohes Engagement der Eltern. Die Mehrzahl der nicht berufstätigen, pflegenden Mütter würde gerne eine Erwerbstätigkeit aufnehmen. Passgenaue und verlässliche Betreu­ungsmöglichkeiten zu finden, wie sie für die Aufnahme einer Berufstätigkeit nötig sind, beschreiben sie jedoch als große Herausforderung. Vielfach berichten die Frauen zudem, dass sie mit ihren Berufsplänen im gesellschaftlichen Umfeld sowie bei Institutionen und Unternehmen auf Ablehnung stoßen. Das führt oft dazu, dass pflegende Elternteile einen beruflichen Wiedereinstieg – wenn überhaupt – erst viel später realisieren können, als gewünscht. Eine Diskussionsteilnehmerin fasst die Situation so zusammen: "Man passt in das System einfach nicht rein und hat immer das Gefühl, vor eine Wand zu laufen."

Einbindung in Pflegeaufgaben erschwert beruflichen Wiedereinstieg

Dadurch, dass sich Betreuung oft nicht in dem gewünschten Umfang organi­sieren lässt, können Eltern mit Pflegeaufgaben häufig nur ein geringes Zeitbudget in die Erwerbstätigkeit einbringen und müssen die Arbeitszeiten an den Tages- und Versorgungsrhythmus des Kindes anpassen. Einige der Mütter, die für die Untersuchung befragt wurden, hatten sich daher ein neues Tätig­keits­feld gesucht, in dem die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege unter diesen Rahmenbedingungen besser realisierbar zu sein schien als im ange­stamm­ten Beruf. Teilweise hatten sie sich selbstständig gemacht, um ihre Arbeitszeiten freier einteilen und auf die familiären Aufgaben besser abstimmen zu können.

Gründe für Erwerbswunsch: Finanzielle Absicherung und soziale Kontakte im Beruf

Ökonomisch sind Familien mit Kindern mit besonderem Unterstützungs- und Förderbedarf durch erhöhte alltägliche Ausgaben oft deutlich schlechter gestellt als andere Familien. Auf ein zweites Einkommen sind sie daher besonders angewiesen. Den befragten Frauen war außerdem bewusst, dass sie ohne eigene Erwerbstätigkeit im Alter finanziell nicht ausreichend abgesichert sein würden. Als weiteren Grund für die Aufnahme einer Beschäftigung nannten sie vielfach den Wunsch nach sozialen Kontakten in einem Umfeld, das Inhalte jenseits der familiären bzw. pflegebezogenen Themen bietet.

Was könnte den beruflichen Wiedereinstieg erleichtern?

Um die Rahmenbedingungen für einen beruflichen Wiedereinstieg zu verbes­sern, wünschten sich die befragten Mütter von Kindern mit Beein­trächtigungen unter anderem

  • passende, lokal verfügbare Betreuungs- und Unterstützungsangebote für ihre Kinder,
  • zentrale gesetzes- und anspruchsübergreifende Koordinationsstellen, die Zugänge zu allen Hilfeangeboten und Fördermöglichkeiten eröffnen, jede Familie in ihrer Gesamtsituation in den Blick nehmen und auch psychologisch begleiten,
  • berufliche Wiedereinstiegsprogramme, die speziell Eltern von Kindern mit Beeinträchtigung ansprechen,
  • flexiblere Rahmenbedingungen in der Arbeitswelt, die die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege erleichtern.


Für die Gesellschaft, so die Expertise, seien die Ausgaben für diese Unterstüt­zungs­leistungen nicht nur aus sozialer Sicht angezeigt, sondern auch wirtschaftlich sinnvoll. Sie tragen dazu bei, dass pflegende Elternteile, die der Studie zufolge heute selbst stark gesundheitlich belastet sind, eine bessere Balance finden und damit gesünder leben. Ihr oft ausgeprägtes Organisa­tions­talent, ihre Gelassenheit und Lebenserfahrung können sie dann auch im Berufsleben zur Geltung bringen.

Interessierte können die Druckversion der Expertise gegen eine Versandpauschale von 3,00 Euro über die Website des Bundesverbands für körper- und mehrfachbehinderte Menschen (bvkm) bestellen. Das Doku­ment ist außerdem als pdf zum Download erhältlich.

Eine gute Ergänzung zur Expertise ist der bvkm-Rechtsratgeber „Berufstätig sein mit einem behinderten Kind. Wegweiser für Mütter mit besonderen Heraus­forderungen“. Er stellt anhand konkreter Fallbeispiele Sozialleistungen vor, die Eltern mit einem Kind mit Beeinträchtigungen in Anspruch nehmen können. Die Broschüre steht auf der Website des bvkm zum Download zur Verfügung.