Interview „Kinder profitieren davon, wenn sich beide Eltern in Familie und Beruf einbringen“

Porträt Prof. Dr. Una M. Röhr-Sendlmeier
© Prof. Dr. Una M. Röhr-Sendlmeier

perspektiven-schaffen.de: Profitieren Kinder davon, wenn ihre Mütter an ihrer beruflichen Entwicklung arbeiten?

Una Röhr-Sendlmeier: Ja, wir konnten nachweisen, dass Kinder berufstätiger Mütter eine höhere Leistungsmotivation haben und ihre Schulnoten in der Regel besser sind. Auch auf ihr allgemeines Wohlbefinden und ihr Sozialverhalten wirkt sich die Erwerbstätigkeit der Mutter positiv aus. Die Kinder orientieren sich an ihren Eltern. Mütter, die aktiv sind und zielstrebig eigene berufliche Pläne verfolgen, geben ihnen ein positives Beispiel. Die Mutter eröffnet ihnen durch ihre verschiedenen Rollen in Beruf und Familie die Vielfalt des Lebens. Väter können das natürlich ganz genauso tun, wenn sie neben ihrer Erwerbstätigkeit für die Kinder nicht nur als Wochenend- und Spiele-Papa präsent sind, sondern Alltagsaufgaben übernehmen. Die Kinder sehen dann bei den Eltern, wie viel Spaß es machen kann, sich in unterschiedlichen Lebensfeldern zu bewegen und die verschiedenen Aufgaben gut zu meistern. Das fördert die Fähigkeit der Kinder, eigene Probleme zu lösen, und ist auch für das zukünftige Rollenverhalten der Mädchen und Jungen ein wesentlicher Faktor. In Familien mit klassischer Aufgabentrennung bekommen Kinder diese Impulse nicht oder in geringerem Maße. Dass Kinder berufstätiger Mütter von deren Erwerbstätigkeit profitieren, hängt auch damit zusammen, dass Frauen mit Job in der Regel zufriedener sind und sich diese Zufriedenheit positiv auf das Klima in der Familie auswirkt. Unsere Studien zeigten auch, dass berufstätige Mütter anders mit ihren Kindern umgehen. Sie lassen sie stärker mitreden, motivieren anders und gestalten ihre Freizeit mit den Kindern aktiver. Außerdem macht das zusätzliche Einkommen auch für die Kinder in manchen Fällen besondere Aktivitäten möglich. Vorteilhafte Auswirkungen für die Jungen und Mädchen zeigten sich in unseren Untersuchungen übrigens interessanterweise völlig unabhängig davon, ob die Mütter vor dem beruflichen Wiedereinstieg eine kürzere oder längere Familienphase eingelegt hatten.

perspektiven-schaffen.de: Ist die Auffassung, dass es unbedingt die Mutter sein muss, zu der Kinder einen engen Kontakt haben, widerlegt?

Una Röhr-Sendlmeier: Ja, diese These ist wissenschaftlich nicht mehr haltbar. Sie wurde im Rahmen der Bindungstheorie in den 1960er Jahren aufgestellt. Damals hieß es, dass Kinder eine enge Bindung zu ihren leiblichen Müttern aufbauen müssten, um sich gut zu entwickeln. Heute weiß man, dass Kinder das Gefühl brauchen, nicht alleine gelassen zu sein. Sie benötigen stabile Bezugspersonen, die sensibel auf ihre Bedürfnisse eingehen, und denen sie vertrauen. Das muss aber nicht oder nicht ausschließlich die Mutter sein. Auch Babys können bereits gut mit unterschiedlichen Bezugspersonen umgehen, wenn diese zuverlässig da sind und wenn es nicht zu viele wechselnde Personen sind. Mit zunehmendem Alter profitieren die Kinder dann von vielfältigeren Anregungen im Umgang mit verschiedenen Menschen.

perspektiven-schaffen.de: Haben Sie Erkenntnisse dazu, wie sich ein beruflicher Wiedereinstieg auf die Rollenverteilung in der Partnerschaft und damit auf die Kinder auswirkt?

Una Röhr-Sendlmeier: Ja, denn unsere Forschungen nehmen auch die Väter in den Blick. Die Ergebnisse zeigen, dass Partner berufstätiger Frauen ein gleichberechtigteres Geschlechterrollenkonzept haben. Internationale  Studien belegen, dass der berufliche Wiedereinstieg der Partnerin zu einem Wandel in der Einstellung ihres Partners beiträgt. Er erlangt dadurch nicht nur eine gleichberechtigtere Sicht auf die Partnerschaft, sondern beteiligt sich auch mehr an Haushaltsaufgaben, die traditionell als typisch „weiblich“ angesehen werden. Die geänderte Aufgabenverteilung in der Familie kommt auch den Kindern zu Gute. Sie erleben, dass bestimmte Aufgaben nicht einfach einem Geschlecht zugewiesen werden. Das erweitert ihre eigenen Handlungsmöglichkeiten.

Für Familien, in denen Väter regelmäßig Aufgaben im Haushalt und bei der Kinderbetreuung übernahmen, konnten wir bei ihren Kindern nachweisen, dass die Schulleistungen in den Fächern Deutsch und Mathematik besser waren. Dies galt insbesondere in Familien mit erwerbstätigen Müttern, in denen die Väter intensiven Kontakt mit ihren Kindern pflegten und mit der Beziehung zu ihren Kindern zufrieden waren. Ähnlich wie bei den Müttern sind auch die Väter, die mit ihrem Leben zufrieden sind, engagiertere Väter, die ihre Kinder und die Partnerin stärker unterstützen. Für Jugendliche in allen Schultypen fanden wir zusätzlich, dass sie bei einer Berufstätigkeit beider Eltern eine höhere Berufswahlbereitschaft hatten. Das bedeutet, dass sie realistischere Vorstellungen von möglichen Berufsfeldern entwickeln.

perspektiven-schaffen.de: Die Zufriedenheit der Eltern mit ihrem Leben scheint von zentraler Bedeutung auch für das Wohlergehen der Kinder zu sein. Können Sie Tipps geben, was zur Zufriedenheit beitragen kann?

Una Röhr-Sendlmeier: Wichtig ist, dass die Eltern ein gemeinsames Lebensmodell haben, das ihnen beiden entspricht und bei dessen Umsetzung sie sich gegenseitig unterstützen. Dieses Gefühl, vom Partner oder der Partnerin bei der Organisation und Erledigung der familiären Alltagsaufgaben unterstützt und entlastet zu sein, ist wichtig, um Stress zu vermindern. Damit das klappt, kann es manchmal nötig sein, Gewohnheiten zu verändern, zum Beispiel indem man weniger oder keine Überstunden macht. Wo diese Möglichkeiten an ihre Grenzen stoßen, ist es sinnvoll, anderweitige Unterstützung zu organisieren. Das können zum Beispiel die Großeltern sein, die Aufgaben übernehmen, oder Netzwerke in der Nachbarschaft. Auch bezahlte haushaltsnahe Dienstleistungen sind ein guter Weg, damit Mütter und Väter im Leben die Prioritäten setzen können, die sie zufrieden machen. Positive Auswirkungen auf die Zufriedenheit hat auch eine möglichst selbst bestimmte Arbeit. Personen, die erleben, wie Entscheidungen an ihnen vorbei getroffen werden, zum Beispiel weil sie „nur“ Teilzeit arbeiten, sind daher oft weniger glücklich mit ihrem Arbeitsplatz. Das soll nicht heißen, dass es eine Gleichung gibt, die besagt, wie viel beziehungsweise welche Arbeit wie zufrieden macht. Das ist etwas, das jeder Mensch für sich herausfinden muss.

perspektiven-schaffen.de: Herzlichen Dank für das interessante Gespräch, Frau Professorin Röhr-Sendlmeier.