perspektiven-schaffen.de: Es wird viel über das Thema „Frauen als Gründerinnen“ gesprochen, aber noch nicht so oft über „Frauen als Unternehmensnachfolgerinnen“. Wie nimmt die bundesweite gründerinnenagentur dieses Thema in ihren Beratungen wahr?
Iris Kronenbitter: In den Gründungsberatungen ist festzustellen, dass viele Frauen beim Wunsch, sich unternehmerisch selbstständig zu machen, in erster Linie an eine Neu-Gründung denken. Sie haben eine Geschäftsidee, sie wissen, wie es besser geht und wollen dies verwirklichen.
Viel zu wenig bekannt sind die Karriere-Chancen und Gestaltungsmöglichkeiten bei der Übernahme eines Betriebes. Beispielsweise können Unternehmensnachfolgerinnen Aufgaben an die Belegschaft delegieren und sich auf die eigenen Kernkompetenzen und Stärken konzentrieren. Sie können auf die bereits vorhandene Firmenstruktur mit Kundenstamm und Lieferantenbeziehungen aufbauen; die Wirtschaftskraft des Betriebes kann abgelesen und Prognosen für seine Entwicklungspotenziale abgegeben werden. Meistens geht mit dem Wechsel an der Spitze auch eine zeitgemäßere Aufstellung des Portfolios beziehungsweise eine strategische Neuausrichtung des Unternehmens einher. Hier eröffnen sich vielfältige Perspektiven.
perspektiven-schaffen.de: Können Sie uns ein paar Zahlen nennen, wie häufig oder selten Frauen ein Unternehmen übernehmen und wie sich der Frauenanteil an den Unternehmensübernahmen darstellt im Vergleich zum Anteil der Männer?
Iris Kronenbitter: Nach Hochrechnungen des Institutes für Mittelstandsforschung in Bonn (IfM) stehen rund 190.000 Unternehmen für eine Nachfolge an. Generell anzumerken ist, dass die Unternehmensnachfolge von Seiten der männlichen Inhaber meist zu spät angegangen und der Zeitlauf bis zum Finden einer geeigneten Nachfolgelösung unterschätzt wird.
Etwas anders sieht es auf Seiten der Inhaberinnen aus. Eine vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend beauftragte Befragung der Mitglieder des Verbandes deutscher Unternehmerinnen konnte zeigen, dass Unternehmerinnen die Nachfolge-Frage früher in den Blick nehmen – durchschnittlich nach 10 Jahren an der Unternehmensspitze. Für den Notfall vorzusorgen, so dass der Betrieb auch ohne die Person der derzeitigen Chefin fortbesteht, aber auch der Blick auf den Erhalt der Arbeitsplätze, sind hier starke Motive.
Zum Anteil der Unternehmensnachfolgerinnen gibt es insgesamt nur wenige und noch dazu sehr heterogene Daten. Je nachdem, welche Datenquelle zugrunde gelegt wird oder welche Einzelaspekte betrachtet werden, schwanken die Zahlen zwischen 13 und 25 Prozent.
Der Nachfolgemonitor 2021 beziffert den Anteil der Übernehmerinnen mit 21 Prozent im Vergleich zu 79 Prozent bei den Männern. Im Zeitstrahl seit 2013 betrachtet ist der Frauenanteil nahezu gleichgeblieben. Die Wirtschaftszweige, in denen Frauen als Unternehmensnachfolgerinnen aktiv sind, konzentrieren sich auf Handel und Kraftfahrzeug (25,3 Prozent), freie, wissenschaftliche, technische und sonstige Dienstleistungen (16,7 Prozent), das Gastgewerbe (16,3 Prozent), das Gesundheits- und Sozialwesen (15,5 Prozent), das verarbeitende Gewerbe (8,6 Prozent) sowie Andere (17,6 Prozent).
Diese Zahlen können auch als Spiegel für das Berufswahlverhalten der jungen Frauen gelesen werden, wobei aus der Beratungspraxis jedoch anzumerken ist, dass Übernehmerinnen immer wieder auch als Branchenfremde den Karriere-Schritt hin zum eigenen Unternehmen wählen, da sie hier ihre Fach- und Führungsqualitäten anwenden können und nicht am Punkt Null beginnen müssen.
perspektiven-schaffen.de: Gibt es Unterschiede zwischen Familienunternehmen und anderen Unternehmen?
Iris Kronenbitter: Der unternehmerische Generationswechsel bedeutet einen großen Einschnitt. Einerseits heißt es, sich mit der eigenen Endlichkeit auseinanderzusetzen und gleichzeitig das eigene Lebenswerk mit dem Fortbestehen des Unternehmens am Markt zu sichern. Auf der Suche nach geeigneten Nachfolgelösungen denken viele männliche Inhaber in erster Linie an die Söhne, Schwiegersöhne oder männlichen Mitarbeiter und bevorzugen bei der Besetzung von Leitungspositionen das eigene Geschlecht.
Hier unterscheiden sich Familienunternehmen nicht von anderen Unternehmen. Auch das Grundproblem der Unternehmensnachfolge hat Bestand: Infolge von ungünstiger Demografie und rückläufigen Gründungszahlen beziehungsweise sinkendem Interesse einen Betrieb zu übernehmen, mangelt es an Nachwuchs, was die Lücke beim unternehmerischen Generationswechsel weiter auseinandertreibt, vor allem bei den mittleren und kleineren Unternehmen.
Dennoch spielen Frauen eine eher untergeordnete Rolle.
Aus der Beratungspraxis wissen wir, dass in den letzten Jahren in kleinen Schritten ein Umdenken stattfindet, vor allem bei der jüngeren Generation der männlichen Inhaber, was auch mit auf das Engagement der Akteurinnen und Akteure im Rahmen der Kampagne ‚Nachfolge ist weiblich!‘ zurückgeführt werden kann.
Unternehmerinnen sind hier übrigens weit offener in ihrer Entscheidung und machen keinen Unterschied, ob Tochter oder Sohn, Mitarbeiterin oder Mitarbeiter für die Nachfolge in Frage kommen, wie eine IfM-Studie zeigen konnte.
perspektiven-schaffen.de: In welchen Berufen/Branchen sehen Sie die größten Potenziale für Frauen, Unternehmen zu übernehmen?
Iris Kronenbitter: Aus der Bildungsforschung ist bekannt, dass Frauen das Bildungssystem schneller und mit durchschnittlich besseren Abschlüssen durchlaufen als Männer. Aus Studien ist zudem bekannt, dass Frauen, die zum Zeitpunkt der Betriebsübernahme längst schon andere berufliche Entscheidungen getroffen hatten und fachfremd eingestiegen sind, bei den betriebswirtschaftlichen Kennzahlen genauso gut abschneiden wie Männer, die sich gezielt auf die Unternehmensnachfolge vorbereitet konnten.
Beim Weg in die unternehmerische Selbstständigkeit kommen Frauen besser vorbereitet in die Beratungen – was auch der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) jedes Jahr aufs Neue bestätigt – und bringen entscheidende Schlüsselqualifikationen mit wie beispielsweise mehrere Handlungsstränge gleichzeitig bearbeiten, Prioritäten setzen oder Kommunikationsstärke, die sie alle gleichermaßen zur eigenen Chefin befähigen.
Insofern können wir hier – unabhängig von Beruf und Branche – von großen Potenzialen auf Seiten der Frauen ausgehen.
perspektiven-schaffen.de: Wie sieht es im Handwerk aus? Gibt es Unterschiede zwischen den einzelnen Gewerken?
Iris Kronenbitter: Das Handwerk hat derzeit vollgefüllte Auftragsbücher, insbesondere im gewerblich-technischen Bereich, und der Satz „Handwerk hat goldenen Boden“ bestätigt sich einmal mehr. Bei über 150 Gewerken eröffnen sich gerade hier für Frauen vielfältige und lukrative Gestaltungsmöglichkeiten, denn die Übernahme eines gut eingeführten Betriebes bietet hervorragende Perspektiven.
Darauf macht zum Beispiel die analoge Roadshow ‚Meine Zukunft: Chefin im Handwerk‘ zusammen mit der Video-Clip-Serie #FRAUENKÖNNENALLES (YouTube Kanal: FRAUEN.KÖNNEN.ALLES.) aufmerksam. Sie präsentieren unterschiedliche Handwerk-Chefinnen und zeigen die Freude an der handwerklichen Tätigkeit und an der selbstbestimmten Arbeit, die Visionen der Unternehmerinnen, ihre Herausforderungen und Erfolge.
perspektiven-schaffen.de: Wie macht die bundesweite gründerinnenagentur Frauen generell auf das Thema „Unternehmensnachfolge“ aufmerksam?
Iris Kronenbitter: Die von der bundesweiten gründerinnenagentur im Verbund mit dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) initiierte ‚Kampagne Nachfolge ist weiblich!‘ spricht drei Hauptzielgruppen an, nämlich:
- potenzielle Unternehmensnachfolgerinnen, um sie auf diese attraktive Karriere-Option aufmerksam zu machen,
- Übergeberfamilien, damit sie die Potenziale ihrer Töchter, Schwiegertöchter und Mitarbeiterinnen bei ihren Überlegungen zur Nachfolgeplanung einbeziehen und
- die Fachöffentlichkeit, die den komplexen Prozess der Betriebsnachfolge fachkundig begleitet.
Steuerungselement der Kampagne ist die Task Force zur ‚Unternehmensnachfolge durch Frauen‘, bestehend aus rund 80 Mitgliedern der intermediären Ebene, die gemeinsam einen Beitrag zur Erhöhung des Anteils von Betriebsübernehmerinnen leisten wollen. Der größte Handlungsbedarf besteht nach wie vor darin, die Unternehmensnachfolge – in einer Zeit, in der Start-ups in aller Munde sind – und ihre Relevanz für das Wirtschaftsgeschehen und nicht zuletzt ihre Beschäftigungswirksamkeit in das öffentliche Bewusstsein zu rücken.
Maßnahmen hierzu sind zum Beispiel der Nationale Aktionstag zur Unternehmensnachfolge durch Frauen am 21. Juni, Informations-, Beratungs- und Weiterbildungsangebote oder die Nachfolge-Wanderausstellung mit erfolgreichen Role Models von Nachfolgerinnen aus den 16 Bundesländern, die über die bundesweite gründerinnenagentur ausgeliehen werden kann.
perspektiven-schaffen.de: Wie könnte man gerade Mädchen und junge Frauen noch stärker an das Thema heranführen, damit sich mehr Frauen für eine Unternehmensnachfolge entscheiden? Sollte es zum Beispiel mehr Mentoring-Angebote geben?
Iris Kronenbitter: Die Förderangebote im Bereich Unternehmensnachfolge zielen auf Sensibilisieren, Informieren, Qualifizieren, Beraten und Vernetzen, die aufeinander aufbauen und sich gegenseitig ergänzen. Diese Angebote sind je nach Bundesland unterschiedlich und häufig gelten sie gleichermaßen für eine Gründung wie für eine Nachfolge. Denn zumeist ist die Nachfolgerin ja zum ersten Mal am Start auf dem Weg in die unternehmerische Selbstständigkeit.
Potenzielle Nachfolgerinnen können also – egal an welchem Punkt sie stehen: ob sie noch nie etwas von dieser Option gehört haben oder bereits mitten im Nachfolgeprozess stehen – entsprechend fachkundig begleitet werden. Mentoring-Angebote sind zum Beispiel hervorragend geeignet, wenn die Nachfolgerin bereits übernommen hat, um im unternehmerischen Alltag eine:n Sparring-Partner:in an der Seite zu haben.
Mädchen und junge Frauen für die Unternehmensnachfolge zu interessieren und in die Fläche zu bringen, ist eine wichtige Aufgabe. Vorbilder von erfolgreichen Unternehmerinnen, die gegründet oder einen Betrieb übernommen haben, machen in Veranstaltungen, auf Social-Media-Plattformen oder in Schulen auf diese Möglichkeit aufmerksam. Gerade in Schulen übernehmen häufig Mädchen die Moderation des Gesprächs mit der Unternehmerin und beschäftigen sich in der Folge intensiver mit der Karriere-Option als selbständige Unternehmerin.
perspektiven-schaffen.de: Vielen Dank für das interessante Gespräch!
Das Leitungsteam der bundesweiten gründerinnenagentur:
- Dr. Katja von der Bey, bga-Regionalverantwortliche Berlin, WeiberWirtschaft eG
- Iris Kronenbitter, bga-Regionalverantwortliche Baden-Württemberg, Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus
- Anette Morhard, bga-Regionalverantwortliche Thüringen, Bildungswerk der Thüringer Wirtschaft e.V.
Über die bundesweite gründerinnenagentur
Um Unternehmerinnen den Start in die Selbstständigkeit zu erleichtern, hat das Bundesgleichstellungsministerium gemeinsam mit dem Bundesbildungsministerium und dem Bundeswirtschaftsministerium die "bundesweite gründerinnenagentur" eingerichtet. Sie bündelt Aktivitäten zur unternehmerischen Selbstständigkeit von Frauen in Deutschland und bietet branchenübergreifend Informationen und Dienstleistungen zu Gründung, Festigung, Wachstum, Start-ups und Unternehmensnachfolge an und ist mit Regionalverantwortlichen in allen 16 Bundesländern vertreten. Dort zeigt die bundesweite gründerinnenagentur Gründerinnen und Unternehmerinnen den Weg zu mehr als 500 Beratungseinrichtungen für die Erst- und Orientierungsberatung, zu rund 1300 Fachleuten für eine vertiefte Beratung sowie zu 350 Netzwerken.