Studie Was Frauen auf dem Land für mehr Chancengleichheit benötigen

Ländliche Gegend, Straße, die zu einigen Häusern führt
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Ziel der Studie war es herauszufinden, wie sich die Wechselwirkung von strukturellen, kulturellen und individuellen Faktoren auf unterschiedliche Weise in den Erwerbsverläufen widerspiegelt und verschiedene Erwerbsverlaufsmuster herauszuarbeiten. Auf dieser Basis sollten Ansatzpunkte für einen Wandel hin zu mehr Chancengerechtigkeit identifiziert werden. Die Autorinnen und Autoren sind davon überzeugt, dass auf wenigen Gebieten der qualitativen und quantitativen Sozialforschung so viele weiße Flecken existieren wie zum Thema „Frauen im ländlichen Raum“.

Für die qualitative Studie führten die Wissenschaftler:innen deutschlandweit leitfadengestützte, themenzentrierte Interviews mit ausgewählten Frauen, um deren Erwerbsbiografien aus einer individuellen Perspektive zu erfassen. Befragt wurden insgesamt 22 Frauen im Alter von 28 bis 69 Jahren mit unterschiedlichen beruflichen Qualifikationen. 16 Frauen kamen aus ländlichen Regionen in Ost- und Westdeutschland. Sechs Frauen aus Berlin wurden als städtische Vergleichsgruppe interviewt.

Im Ergebnis des Wirkens der von Frau zu Frau unterschiedlichen strukturellen, kulturellen und individuellen Einflussfaktoren ergaben sich differenzierte Muster des Erwerbsverlaufs. Diese lassen sich wie folgt zusammenfassen:

  • Prägende Einschnitte und Brüche im Erwerbsverlauf und eine unterschiedliche Art und Weise des Umgangs mit ihnen seitens der Probandinnen
  • Erwerbsverläufe mit einer hohen Kontinuität – ohne Brüche, aber mit Veränderungen
  • Eigenständiges Erwerbskonzept – wie Selbstständigkeit
  • Prägung des Erwerbsverlaufs durch Einschränkungen wie Behinderung oder Krankheit
  • Kombination der Erwerbsarbeit mit zusätzlicher sinnstiftender oder Wunsch-Tätigkeit.

Jüngere Frauen-Generation: Eigenständigkeit und Unabhängigkeit wahren

Die Wissenschaftleri:nnen stießen auf große Unterschiede zwischen den Frauengenerationen: Frauen der Generation 60plus akzeptierten ihren Ausstieg aus dem Erwerbsleben. Nach eigener Aussage rutschten sie „fast automatisch“ in die Rolle der mithelfenden Familienangehörigen auf den Höfen ihrer Ehemänner und somit in die finanzielle Abhängigkeit.

Für die jüngere Frauengeneration der unter 45-jährigen ist dagegen die Parallelität von Erwerbstätigkeit und Familie inzwischen selbstverständlich. Diese Gruppe der Befragten weiß sehr genau um die Konsequenzen einer ökonomischen Angewiesenheit auf den Partner und scheint stärker als die ältere Generation in Lebensabschnitten zu denken.  Alle Frauen dieser Altersgruppe

  • nutzten die vom Gesetzgeber eingeräumte Elternzeit und kehrten danach in ihren Beruf zurück,
  • reduzierten ihre vorherige Vollzeittätigkeit auf Teilzeit,
  • gaben an, nur vorübergehend verkürzt arbeiten zu wollen und die Rückkehr zur Vollzeit im Blick zu haben.

Maßgeblich für die jüngeren Frauen ist dabei ihr Anspruch, sich durch die berufliche Tätigkeit eine eigenständige Lebenssphäre zu bewahren und damit zugleich weitgehend finanziell unabhängig vom Ehemann zu bleiben.

Hürden für mehr Gleichberechtigung: Traditionelles Rollenverständnis und mangelnde Infrastruktur

Die Hauptverantwortlichkeit für Kinder und Haushalt liegt laut der Studie trotz zunehmender Arbeitsteilung mit dem Ehemann oder Partner anhaltend bei den Frauen. Dieses unausgewogene Partnerschafts- und Familienmodell erweist sich in Stadt wie Land als konstant. Ein spezielles Problem im ländlichen Bereich ist nach Aussage der Frauen häufig die sich verschlechternde Infrastruktur. Zwar haben sich in den vergangenen Jahren die Angebote für Kinderbetreuung vor Ort deutlich verbessert. Probleme bereiteten den Befragten aber zum Beispiel Bereiche wie Verkehr/Mobilität, Bildung/Weiterbildung und ein ausreichendes Angebot an berufs- und qualifikationsadäquaten Arbeitsstellen. Ein fehlender öffentlicher Nahverkehr, oft weit entfernt liegende Schulen und nur schwer erreichbare attraktive Arbeitsplätze sind große Hürden im Alltag. Die befragten Frauen sehen zwar für sich persönlich ausreichende Binde- und Haltefaktoren an den ländlichen Raum, nicht oder kaum hingegen für ihre Kinder.

Interessante Jobs als „Stellschraube“ für ländliche Räume

Die Schaffung anspruchsvoller, moderner Arbeit vor Ort oder in erreichbarer Nähe ist aus Sicht der Expertinnen und Experten einer der wichtigsten Punkte, damit der ländliche Raum als Lebensmittelpunkt für Frauen und Familien attraktiv bleibt oder es wieder werden kann. Derzeit finden viele Frauen nach einer Familienpause lediglich Stellenangebote, die berufsfremd sind oder ihren Qualifikationen nicht entsprechen. Es reiche daher nicht, wenn Gemeinden sich nur um mehr Familienfreundlichkeit kümmerten.

Wiedereinstieg in den Beruf: Unternehmenskultur muss sich wandeln

Darüber hinaus wird sowohl auf dem Land wie in der Stadt ein Wandel der Unternehmenskultur angemahnt. In allen untersuchten Fällen haben die Frauen die Schule und zusätzlich eine berufliche Ausbildung oder ein Studium abgeschlossen. Aber trotz sehr guter Abschlüsse waren die Befragten nicht vor tiefen, nachhaltigen Einschnitten in der Erwerbsbiografie geschützt. So zeigte sich, dass das Wiederanknüpfen an einmal erreichte berufliche Erfolge selbst nach einer nur kurzen kinder- oder familienbedingten Pause oft schwierig bis unmöglich war. Die Auszeit in Verbindung mit einer Reduzierung der Arbeitszeit scheint bei vielen (potenziellen) Arbeitgebern dazu zu führen, die Qualifikation der Frauen anzuzweifeln, statt ihre Potenziale zu erkennen.  

Die Verfasser:innen der Studie sehen den dringenden Bedarf, die soziale Lage von Frauen und Männern auf dem Land weiter zu erforschen. Es sollte untersucht werden, welche Strategien und Initiativen sich auf dem Land abzeichnen, um auch künftige Generationen in der Region zu halten.